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Düstere Aussichten

Jeremy Brecher


Die Staatschefs sind aus Kopenhagen zurück und haben es nicht geschafft, sich auf einen Plan zu einigen, der die Erde vor dem drohenden Klimawandel schützen kann. Daher müssen wir, das heißt wir gewöhnlichen Bürger, nicht nur dem, was wir denken, sondern auch dem, was wir fühlen, ins Auge sehen.

Als ich in den frühen 50er Jahren in der Grundschule war, wurden regelmäßig Luftschutzübungen durchgeführt. Die Sirenen gingen an und wir mussten uns „ducken“ und uns unter unseren Tischen „verstecken“. Natürlich wurden eine Menge Witze gerissen. „Im Falle eines Nuklearangriffes musst du dich nach vorne beugen, den Kopf zwischen die Beine legen und deinem Arsch Auf Wiedersehen sagen.“

Diese gleichgültige Einstellung zeigt, dass es für meine Freunde und mich (so wie für viele andere) klar war, dass wir wahrscheinlich durch einen Atomangriff sterben würden. Wenn die nukleare Bedrohung sich weiterhin verschärft hätte, hätte ich nie damit gerechnet, älter als zwanzig oder dreißig Jahre zu werden.

Ein Witz einer Late-Night-Show zeigt dieselbe Gleichgültigkeit der drohenden globalen Erwärmung gegenüber:

„Laut einem UNO-Bericht ist die Bedrohung durch die Erderwärmung schlimmer als zunächst angenommen. Das ist ungünstig, da man davon ausgegangen war, dass die globale Erwärmung den Planeten zerstören wird.“

Nach der Explosion der ersten Atombombe warnte Albert Einstein: „Die entfesselte Macht des Atoms hat alles verändert, nur nicht unsere Denkweise und daher steuern wir auf eine beispiellose Katastrophe zu.“ Die globale Erwärmung und andere Umweltbedrohungen intensivieren die menschlichen Überlebensängste. Im Jahr 1977 schrieb der Politikwissenschaftler Charles Lindblom: „Immer mehr Anzeichen sprechen dafür, dass das menschliche Leben auf unserem Planeten auf eine Katastrophe zusteuert. Tatsächlich sind mehrere Katastrophen möglich und wenn wir eine verhindern können, wird uns die nächste einholen.“ Er zählt Bevölkerungswachstum, Ressourcenverknappung und Erderwärmung auf. All das zeigt, dass eine nukleare Katastrophe uns nicht vor der Angst der Degeneration schützt.“

1992 schrieb der Physiologe und Autor Jared Diamond: „Bis zu unserer eigenen Generation gab es keinen Anlass zur Sorge, ob die darauf folgende Generation überleben würde oder sich an einen lebenswerten Planeten erfreuen könnte. Unsere ist die erste Generation, die mit Fragen über die Zukunft der eigenen Kinder konfrontiert wird. „Zwei 'Wolken', die über uns schweben, begründen diese Bedenken: Der 'nukleare Holocaust' und der 'ökologische Holocaust'. Diese Risiken „sind heutzutage die zwei größten Herausforderungen der Menschheit.“

Sechzig Jahre nach Einsteins Warnung sagte der Astrophysiker, dass „das Leben auf der Erde immer mehr davon bedroht ist, von einer Katastrophe wie der plötzlichen Erderwärmung oder einem Atomkrieg ausgelöscht zu werden“. Obwohl schon seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt ist, dass es zu einer von den Menschen verursachten Katastrophe kommen könnte, wird nichts dagegen unternommen. Passivität und Gelähmtheit ist dagegen an der Tagesordnung.

Hoffnungslosigkeit scheint eine natürliche und vielleicht sogar angemessene Reaktion auf diese Realität zu sein. Es ist wahrhaftig schwierig, zu wissen wie man sich sonst gegenüber Bedrohungen unserer Existenz verhalten soll, gegen die man nichts ausrichten kann.

Bevor wir ernsthaft darüber nachdenken können, was wir gegen den drohenden Untergang tun können, müssen wir uns erst einmal Gedanken über unsere eigenen Antworten machen. Ist Verzweiflung berechtigt und wenn ja, ist sie die einzige richtige Reaktion? Ist es zum Handeln bereits zu spät? Ist psychologische Leugnung in einer ausweglosen Situation angebracht – wenn wir schon nichts mehr ändern können, sollten wir es dann nicht einfach ignorieren und unser Leben so gut leben, wie wir nur können?“ Wird uns der drohende Untergang antreiben? Oder wird er uns eher noch hilfloser und apathischer machen? Kann Hoffnungslosigkeit zu irgendetwas führen?

Es gibt genug wissenschaftliche Gründe, laut denen wir annehmen müssen, dass die Menschheit – sofern wir nichts dagegen tun – früher oder später aussterben wird und dass unser Planet erfrieren, verglühen oder in Millionen von Teilchen zerspringen wird. Und es gibt gute Gründe dafür, dass wir nichts dagegen machen können.

Aber mit dem von der Menschheit selbst verschuldeten Untergang verhält es sich anders. Dieser ist natürlich durch die Menschen abzuwenden. Was wir allerdings berechtigterweise fühlen, ist, dass wir als Individuen nichts erreichen können. Gemeinsam könnten wir es aber schaffen – und zwar alleine dadurch, dass wir die Aktivitäten stoppen, die den Untergang herbeiführen. Die Hilflosigkeit, die wir spüren, ist nicht das Ergebnis unserer destruktiven Veranlagung, sondern unseres offensichtlichen Unvermögens, uns zu organisieren und uns davon abzuhalten, uns selbst zu zerstören.

Diese sozialen Wurzeln des Untergangs sind Teil eines üblichen Musters, das wir wiederholt in der Geschichte beobachten können. Menschen leben ihr Leben und verfolgen ihre Ziele mit Strategien, die sie mit der Zeit entwickelt haben. Manchmal entdecken sie aber, dass ihre etablierten Strategien nicht funktionieren. Egal wie sehr sie sich auch anstrengen, die Probleme bleiben unlösbar. Und daraus entsteht Hoffnungslosigkeit.

Wenn mehrere Menschen dieselbe Erfahrung machen, wird vielleicht eine ganze soziale Gruppe von Hoffnungslosigkeit erfasst. Diese Hoffnungslosigkeit kann auf vielerlei Art und Weise ausgedrückt werde, z.B. durch bissige Kommentare über den Untergang.

Das Wissen aber, dass andere Leute dieselbe Hoffnungslosigkeit erfahren, ändert den Kontext. Neue Möglichkeiten entstehen. Vielleicht können die Probleme, an denen wir als Individuen verzweifeln, im Kollektiv gelöst werden. Wenn Leute diese Möglichkeit entdecken, kann das Ergebnis eine soziale Bewegung sein.

Man kann also sagen, dass die Hoffnungslosigkeit, die man als Individuum erlebt, als Nährboden für neue soziale Bewegungen und neue Formen von kollektiver Handlung dienen kann. Dunkelheit ist oft ein Teil des Prozesses, durch den neue soziale Lösungen entstehen. Er zeigt, dass wir erkennen, dass die momentanen Ansätze unsere Probleme nicht lösen können. Daher kann das Gefühl der Hilflosigkeit, mit dem wir konfrontiert werden, nicht nur zu Hoffnungslosigkeit führen, sondern auch dazu, dass man dieses Gefühl teilt und man versucht, neue soziale Strategien und kollektive Handlungsformen auszuprobieren.

Genau so etwas passierte in den Anfangsjahren des atomaren Wettrüstens. Das Wissen um die Nutzlosigkeit der aktuellen Strategien wie Sicherheit durch nukleare Übermacht und zivile Abwehr manifestierte sich zunächst einmal in Witzen wie „seinem Arsch Auf Wiedersehen sagen“. Später entstand daraus die „Ban the bomb“-Bewegung, die sich für nukleare Abrüstung und gegen Atombombentests aussprach. Eine kürzliche historische Studie zeigte, dass diese Bewegung Länder in der ganzen Welt beeinflusste und auch einschüchterte. Sie spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Kernwaffenteststopp-Vertrages während der Phase der Entspannungspolitik und der Waffenkontrollabkommen, die die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Holocausts verringerten.

Das sogenannte „Alkoholikergebet“ appelliert an die „Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die man nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die man ändern kann und an die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Wenn man sich die Frage stellt, ob ein Einzelner unter uns die Erderwärmung aufhalten oder einen drohenden Atomkrieg abwenden kann, muss die Antwort nein lauten.

Aber was wir alleine erreichen oder auch nicht erreichen können, ist kein Maßstab für das, was wir zusammen erreichen können. Wenn wir uns umgekehrt fragen, ob wir alle zusammen das Abwenden einer Katastrophe erreichen können, so lautet die Antwort ja. Das heißt aber nicht, dass das auch geschehen wird. Es hängt davon ab, was die Menschen beschließen zu tun.

Auch wenn die Leute ihre etablierten Strategien verwenden, heißt das nicht, dass sie diese nicht auch ändern können. Und es ist niemals vollkommen vorhersehbar, wie sie auf neue Situationen reagieren. Die schlimmsten Ereignisse könnten als Grund für Hoffnungslosigkeit oder als ein Ansporn für Veränderung genommen werden. Die Fastbegegnung mit dem nuklearen Holocaust in der Kubakrise stoppte unerwarteterweise sowohl die USA als auch die UdSSR bei ihrem verrückten Versuch die atomare Übermacht zu erlangen und führte die Länder zu einer Entspannungspolitik und zur Rüstungskontrolle. Es gibt keine Garantie, dass die Katrinas der Zukunft dieselben Auswirkungen haben werden, aber es gibt auch keine Garantie, dass es nicht so sein wird.

Die Voraussetzung für das menschliche Überleben ist eine neue Strategie, die auf der Zusammenarbeit aller basiert, um das Überleben von allen abzusichern. Ich verwende gerne den Begriff „gemeinsame Erhaltung“ für Strategien, bei denen Leute versuchen Probleme in Hinblick auf gemeinsame und nicht alleine auf eigene Bedürfnisse zu lösen. Gemeinsame Erhaltung ist die notwendige Voraussetzung für Selbsterhaltung. Keiner kann sich darauf verlassen, dass wir und unsere Lieben überleben, ganz zu schweigen von gut überleben, wenn wir nicht gezielt daran arbeiten, die momentanen Muster des menschlichen Lebens zu durchbrechen. Selbsterhaltung für einzelne Personen und für Gruppen kann nur durch die gemeinsame Erhaltung unserer Spezies und Umwelt im Ganzen sichergestellt werden.

Der Untergang sendet seine Vorboten aus. Durch den radioaktiven Niederschlag, der von den Nukleartests verursacht wurde, erkannten Millionen von Menschen, dass die Bedrohung durch die atomare Aufrüstung real ist. Zuvor wurde das nukleare Armageddon nur als eine entfernte und hypothetische Bedrohung wahrgenommen. Hurrikane, Hitzewellen und Überflutungen kann man beinahe biblische Boten der nahenden Klimakatastrophe nennen.

Ist es schon zu spät? Wir wissen, dass bereits vieles verloren ist. Aber wir können nicht wissen, ob bereits alles verloren ist. Man kann im voraus nicht wissen, was eine gemeinsame Aktion alles bewirken kann. Wir befinden uns in der Lage von Eltern, die bereits ein Kind verloren haben, und die sich jetzt überlegen müssen, ob sie für ihre anderen Kinder kämpfen wollen, die in Gefahr aber noch am Leben sind.

Wenn die Erde wie ein bedrohtes Kind weinen könnte, würde es vielleicht dieselben Worte benutzen wie Arbeiterführer Joe Hill bei seinen letzten Atemzügen: „Trauert nicht – organisiert euch!“

Die Wahrheit ist aber, dass wir trauern müssen. Wir müssen um die Opfer von Katrina trauern und um das Leben, das zerstört wurde. Wir müssen um die Opfer der ganzen anderen Hurrikane trauern, die in Bangladesch und Indonesien gewütet haben und die passieren werden, egal was wir machen. Wir müssen um die Eisbären trauern, deren Lebensraum zerstört wurde. Wir müssen um jedes geliebte Element unserer Umwelt trauern, sei es ein Wintertag oder die Singvögel, die nicht mehr an einen bestimmten Ort zurückkehren. Wir müssen um das trauern, was wir verlieren werden – was wir opfern müssen – um das Notwendige zu tun, nämlich den Untergang abzuwenden. Unsere Trauer ist das Einzige, das den Dingen und Menschen, die wir bereits durch unsere Torheit geopfert haben, die Treue hält.

Wenn wir aber nur trauern, sind dann nicht noch mehr Menschen, Städte und Lebensräume dem Untergang geweiht?

Um es in Worten von Mother Jones auszudrücken: „Trauert um die Toten und kämpft wie die Teufel um die Lebenden.“

Oder in Worten eines afro-amerikanischen Spirituals, das zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung wurde:

We are soldiers in the army

We`ve got to fight, although we`ve got to cry.

We`ve got to hold up that bloodstained banner;

We`ve got to hold it up till we die.“


Jeremy Brecher ist ein Historiker und Autor von mehr als ein Dutzend Büchern über Arbeiterbewegungen und soziale Bewegungen. Außerdem ist er ein Mitarbeiter des Arbeiternetzwerks für Nachhaltigkeit www.labor4sustainability.org. Sein nächstes Buch heißt „Gemeinsame Erhaltung in dem Zeitalter der gegenseitigen Zerstörung“. Dieses Buch ist Tom Costello gewidmet, der für 40 Jahre sein Partner war und diesen Monat gestorben ist. Besuchen Sie die Gedenkseite unter www.laborstrategies.blogs.com.


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