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Über die Einführung von Veränderungen: Wenn das Kollektiv entscheidet...

Charles Landry, David Morley, Russell Southwood, and Patrick Wright


Einführung

Die politische Rechtschaffenheit eines Systems des gemeinsamen Arbeitens war jahrelang weitgehend unumstritten. Gleichwohl sind eine Reihe von Problemen und Sachverhalten aufgetreten. Im vorliegenden Text legen wir eine schematische Darstellung derjenigen Probleme vor, die wir auch selber erfahren und beobachtet haben. Wir stellen dabei die negativen Aspekte bewusst stärker heraus. Die Besorgnis mit demokratischen Organisationsstrukturen, die Kollektive erstmals enstehen liessen, beabsichtigen wir damit nicht schlecht zu machen. Wir sind jedoch der Ansicht, dass viele Schwierigkeiten zu lange unausgesprochen blieben. Wir leisten daher gerne unseren Beitrag zum „Umdenkprozess“, der nun eingesetzt hat.

Die libertäre Besessenheit mit „Prozesspolitik“ zeigt sich in der Sorge um alle Aspekte der internen Organisationsstruktur und ihrer Arbeitsweise. Dadurch verliert das Kollektiv nicht selten seine grösseren politischen Ziele und die Vorrangigkeit der Organisationsform gegenüber den politischen Zielen, für dessen Erreichung sie geschaffen wurde, aus den Augen. Dies geschieht oft in zwei Phasen. Zu Beginn werden der kollektive Prozess und der politische Zweck der Gruppe als gleichermassen wichtig betrachtet. Später wird oft dem Prozess selbst eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. Diese Reaktion kann am besten als Überreaktion zur Unterordnung des Einzelnen unter einem nach aussen kommunizierten politischen Ziel, das die klassischen parteipolitischen Strukturen würdigt, verstanden werden.

Auch wenn manch ein Mitglied einer solchen Arbeitsgemeinschaft offen bekennt, dass der kollektive Prozess sowohl ineffizient als auch chaotisch ist, wird er dennoch oft als „demokratischer“ empfunden. Aus dieser Position heraus ist es ein kleiner Schritt, den Kollektivprozess den „Bourgeoistraditionen“ als moralisch überlegen anzusehen und er kann daher auch nicht in Frage gestellt werden. Ab hier sitzt die Gruppe in einer Falle. Diskussionen über ein anderes, ebenfalls moralisch vertretbares Vorgehen sind nicht mehr möglich.

Unserer Ansicht nach erscheint jedoch eine Diskussion über alternative Vorgehensweisen unerlässlich. Wir sind davon überzeugt, dass wenn wir die immer wiederkehrenden Probleme des kollektiven Arbeitens nicht erkennen und lösen, der gesamte Sektor bald nur noch von historischem Interesse sein könnte.

Zwei unterschiedliche Varianten des Kollektivs haben sich etabliert; das offene und das geschlossene Kollektiv. Jede dieser Varianten wird von ihren jeweiligen Anhängern als die einzig richtige Vorgehensweise bei Gemeinschaftsprojekten angesehen.

Befürworter des offenen Kollektivs argumentieren, dass, wenn versäumt wird, den verschiedensten Personen Zugang zum Kollektiv zu gewähren, die Gefahr besteht, eine Kategorie oder Anhängerschaft auszugrenzen, die es eigentlich verdienen würde vertreten zu sein. Jegliche Diskussion zur Beschränkung dieses Zugangs zum Produktionsprozess wird als ein Vertrauensbruch gegenüber dieser reinsten Form der demokratischen Politik gewertet. Dagegen wird ein geschlossenes Kollektiv als elitär und sich selbst erhaltend gesehen. Das offene Kollektiv hat jedoch mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen. In einem offenen Kollektiv bewegt man sich ständig in einem Spannungsfeld, in dem einerseits die Neuzugänger eingewiesen und in die Gruppenarbeit eingewöhnt werden müssen, und andererseits die eigentliche Aufgabe erledigt werden muss. Wie es das Newsreel Kollektiv formulierte: „Wir hatten weder die Zeit noch das Geld uns gegenseitig das Wissen beizubringen, das wir nicht besitzen, geschweige denn uns gegenseitig die Möglichkeit einzuräumen Film zu „verschiessen“ und aus unseren Fehlern zu lernen. In jeder realen Aufnahmesituation, insb. in einer die nicht wiederholt werden kann, ist es einfach schrecklich wenn man eine Wahl zwischen jemandem hat, der lernen muss eine Kamera zu bedienen, es aber vermasseln könnte und jemandem, der bereits weiss wie man sie handhabt und eher fähig ist uns die gewünschten Aufnahmen zu liefern.“

Der Schwerpunkt des offenen Kollektivs liegt auf der Integration und Einbeziehung jedes Mitgliedes und bedeutet im Normalfall, dass man sich immer dem Tempo eines Neuzugängers oder der langsamsten Person in einer Gruppe anpassen muss und daher nie schneller vorwärts gehen kann.

Die Tatsache, dass die Mitglieder solcher Kollektive meist Freiwillige sind, belastet das System zusätzlich. Kaum jemand verfügt über die notwendige Zeit, sich der gestellten Aufgabe ausgiebig zu widmen. Dies bedeutet, dass ein grosser Teil der effektiven Arbeit der Arbeitsgemeinschaft auf eine kleine und überaus engagierte Gruppe übertragen wird. Der gleiche strukturelle Interessenskonflikt taucht in vielen Projekten zwischen bezahlten Arbeitnehmern und ihrem Führungsgremium auf. Ob ein Kollektiv auf der Basis einer Mitarbeiter Kooperation oder als Mitglieder-/Nutzergruppe gebildet werden soll, steht somit zur Diskussion.

Bei solchen Konflikten sind Spannungen vorprogrammiert, insb. zwischen denen, die wissen, dass sie die Arbeit machen werden und denen, die nur mitmachen um an den allgemeinen Diskussionen zum Gesamtkonzept teilzunehmen sowie zwischen denen, welche die meiste praktische Arbeit übernehmen und daher meinen, einen besseren Überblick über das Geschehene zu haben und denen, die auf die Politik Einfluss nehmen wollen, aber nicht Willens oder in der Lage sind, viel Zeit in den praktischen Aspekt der Gruppenarbeit zu investieren.

Dadurch ergibt sich, dass die wichtigsten praktischen Entscheide ausserhalb der formellen Gruppenversammlungen getroffen und erst an einem späteren Treffen ratifiziert werden. Die offiziellen Gruppenversammlungen dienen somit lediglich als Erfüllungshilfe, d.h. sie fügen den bereits gefassten Entschlüssen ein „demokratisches“ Gütesiegel hinzu. Die Dinge entwickeln sich häufig bis zu einem Punkt an dem der Gruppenarbeitsprozess selbt zu einer langen Plenarsitzung verkommt, wo alles zur Diskussion steht und Entscheide jederzeit gefällt werden können. Das wäre ungefährt so wie wenn das Unterhaus versuchen würde, eine Fluggesellschaft mittels Debatten zu leiten.

Ein weiteres Problem stellen die häufig fehlenden Diskussionen über Handlungsoptionen dar. Ein klares Bild der politischen Ziele ist oft mit negativen Assoziationen zu Machismo und „Macht“ behaftet. Um Unterschiede zu verwischen, wird eine polarisierte Diskussion geführt. Dieser ganze Prozess (insb. wenn er zu einer Entscheidungsfindung im „Konsensverfahren“ verschmilzt, die Mehrheitsbeschlüsse ausschliesst) ermutigt die Menschen dazu, ähnlichlautende Dinge zu sagen, wenn sie eigentlich das Gegenteil meinen. Dass dies oft zu einem Sprachgebrauch führt, der über erhebliche Meinungsunterschiede hinweg zu täuschen versucht, nur damit zumindest die bevorstehende Arbeit weitergeführt werden kann, ist in gleichem Masse schlecht.

Noch schlimmer aber ist, dass keine klaren Handlungsoptionen vorgelegt werden. Das bedeutet oft, dass das Kollektiv zwei oder mehrere widersprüchliche Fraktionen „einzubinden“ versucht, von denen keine befugt ist, ihre Sache umzusetzen. Das Prinzip des „Nicht-Abstimmens“, auf dem die Entscheidungsfindung im Konsensverfahren basiert, vermittelt einer Stimmminderheit das Gefühl, grössere Unterstützung zu finden als sie in Wirklichkeit hat. Dieses Vorgehen macht es einer Minderheit möglich, die Diskussion, in der Hoffnung eine Mehrheit zu gewinnen, in die Länge zu ziehen.

Ohne Forum, in dem eine offizielle Politik, gleich welcher Art, gemacht werden kann, wird ein Netzwerk persönlicher Freundschaften automatisch eine de facto Politik gestalten und dafür die im Prozess verankerte Verwirrung für sich ausnutzen. Die einzig offizielle Aufzeichnung des Entscheidungsprozess befindet sich oftmals im Sitzungsprotokoll des Kollektiv. Da dieses nicht unbedingt die Entscheidungen im Tagesgeschäft widerspiegelt, die während der Gruppenarbeit gefasst wurden, können oft im Zusammenhang mit den getroffenen Entscheiden stehende Missverständnisse aufkommen.

Wenn die Sitzungsteilnehmer geteilter Meinung sind, wird die Behandlung eines heiklen Themas oft verschoben, um dem Kollektiv mehr Zeit zu geben einen Konsens zu erzielen. Eine derartige Vorgehensweise lässt eine rasche Klärung strittiger Fragen nicht zu. Dies bereitet zwar in einer geschlossenen Diskussionsgruppe keine Probleme, kann aber bei einem Kollektiv, das versucht für die Aussenwelt einen Service zu erbringen (z.B. die Führung eines Kaffeehauses oder eines Kinos) oder ein Produkt herzustellen (wie z.B. die Herausgabe einer Zeitschrift), durchaus zu Schwierigkeiten führen. Schlicht und einfach, die Aussenwelt wird einem Verhalten, wie man es von Knut dem Grossen her kennt, und das einem zu verstehen geben will, dass das Kollektiv mehr Zeit benötigt um eine Einigung zu erlangen, nicht unbedingt Beachtung schenken. Hinter der Absicht die Dinge gemeinsam zu diskutieren und Entscheide im Kollektiv zu treffen, wird ein demokratischer Impuls spürbar. Zum Überleben muss eine Organisation jedoch in der Lage sein, wichtige Grundsatzentscheidungen rasch zu fällen, soweit dies die Situation erfordert. Zu oft nimmt das Bestreben einen Konsens herbeizuführen, einen etwaigen Grundsatzentscheid vorweg. Verschiedene Umstände verlangen und billigen unterschiedliche Entscheidungsverfahren und die „prinzipientreue“ Einhaltung einer einzigen(Kollektiv/Konsens) Methode in jeder Situationen führt zu vorprogrammiertem Chaos.

Die offiziellen Zuständigkeitsbereiche in radikalen Gruppen entsprechen in keiner Weise den Orten und Wegen der tatsächlichen Entscheidungsfindung . Der Aufbau idealer Strukturen, die nicht den wirklichen Bedürfnissen der praktischen Gruppenarbeit entsprechen, ist die unabdingbare Konsequenz. Für einen Aussenstehenden , der dem Kollektiv beitreten möchte, kann sich ein noch verwirrenderes Bild zeigen. Man bekommt nicht alles aus einer Hand und hat nicht nur mit einem Ansprechsparter zu tun. Jeder könnte bereit sein mit einem Neuzugang zu reden, aber nur wenige übernehmen eigenständig Verantwortung für eine Entscheidung, hauptsächlich weil der Begriff der Eigenverantwortung in der „Kollektiv“-Ideologie als „nicht akzeptierbar“ angesehen wird. Unklare Verantwortlichkeiten führen oft zu Verbitterung, d.h. es ist ausserordentlich schwierig die Fehlerquelle zu ermitteln, wenn niemand gefunden werden kann, der bereit ist persönlich Verantwortung zu tragen. Jeder beruft sich entweder auf den Pragmatismus oder den Grundzustand als Gründe warum etwas bestimmtes nicht passiert ist.

Der Mangel an Eigenverantwortung geht mit einem weiteren ungeschriebenen Artikel der libertären Verfassung einher, nämlich dem Wunsch sich in den Aufgaben abzuwechseln, um Einzelne daran zu hindern sich zu viel Macht anzueignen. Anstatt der Art und Weise der Machtausübung, wird die Macht selber als eine Sache betrachtet. Dies hat zur Folge, dass die Menschen nur teilweise bereit sind Verantwortung zu übernehmen.

Der freiwillige Charakter eines Kollektivs kann auch dazu führen, dass eine bestimmte Aufgabe irgendeiner Person aufgezwungen oder sogar an einen unbekannten Einsteiger anvertraut wird. In einem solchen Fall ist es schwer von dieser Person zu verlangen die volle Verantwortung für diese Aufgabe zu übernehmen. Gerade weil die Aufgaben wie beim „Schwarzen Peter“ ständig weitergereicht werden, sind sie nie ernsthaft festgelegt. Eine klare Aufgabenstellung könnte nämlich eine Art Alleinverantwortung implizieren, unerwünscht bei Kollektiven, die sich dafür einsetzen, dass sich jeder gleichermassen für alles verantwortlich fühlt. Ohne klare Job-Definitionen ist es jedoch unmöglich eine Person, die ihrer Arbeit nicht nachkommt, in die Pflicht zu nehmen. Jeder ist gleichwertig und alles wird aufgeteilt, aber niemand ist direkt für etwas verantwortlich.

Hier wird eine besorgniserregende Definition von „Gleichheit“ impliziert. In diesem Zusammenhang erlangt der Kampf um die Gleichstellung wie auch die Abschaffung aller Unterschiede in der Tat eine neue Dimension. Die Ansicht, dass unterschiedliche Machtpositionen zu verachten sind, präsentiert sich als Ausgangslage. Da die Kenntnisse und Fähigkeiten des Einzelnen in jeder Organisation Tor zur Macht sind, wird versucht alle Wissens- oder Fähigkeitsunterschiede innerhalb der Gruppe auszumerzen. Sobald Wissen oder Fähigkeiten im Einzelnen Schuldgefühle hervorrufen, wird er sich jedoch davor hüten seine Stärken publik zu machen und mit anderen zu teilen. Die Tatsache, dass die kollektive Solidaritätsverpflichtung ein Schlüsselwert darstellt, erhöht den Druck die gleichen Ansichten zu vertreten oder zumindest Meinungsverschiedenheiten zu unterdrücken. Dies erschwert eine konstruktive Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe und führt leicht zu einer Situation, in der verdrängte Differenzen irgendwann auffliegen und sich das Kollektiv in das ironische Gegenstück sektiererischer Organisationen aufteilt, zu der das Kollektiv ursprünglich als Alternative betrachtet wurde. Kurzum, wir haben es hier mit einer Gleichstellung zu tun - der kambodschanische Beiklang kann nicht überhört werden - die so hingebogen wurde, dass sie jegliche Unterschiede bekämpft.

Rechenschaftspflicht und Rationalität der Bürokratie

Der Kern des Problems liegt in der Definition von Zuständigkeiten bei radikalen Projekten. Gegenwärtig wird die Verantwortung für eine nicht klar festgelegte Tätigkeit zu leichtfertig übernommen. Eine Abklärung der Art der Arbeit findet nicht statt und es wird auch nicht berücksichtigt, ob ein Freiwilliger für die Funktion der richtige Kandidat ist. Sollten bestimmte Dinge falsch zu laufen beginnen, macht dies eine Neuverteilung der Aufgaben sogar noch schwieriger.

Erfahrungsgemäss sind klare Zuständigkeitsbereiche entscheidend für die Funktionsfähigkeit eines Kollektivs. Wenn es etwa darum geht Werbeflächen zu verkaufen und der Verantwortliche es innerhalb eines vereinbarten Zeitraums nicht schafft, diese zu verkaufen, sollte er oder sie für ihren Misserfolg zur Rechenschaft gezogen werden. In einem nächsten Schritt muss dann geprüft werden, ob das Problem aufgrund fehlerhafter Delegation aufgetaucht ist, ob die Aufgabe selbst schlecht definiert war oder ob äussere Faktoren die Ausführung des Jobs negativ beeinflusst haben.

Rechenschaftspflicht bedeutet mehr als einfach nur Schuldzuweisungen in irgendeine Richtung. Es heisst vielmehr, eine Organisationsstruktur zu entwickeln, die den Betroffenen dazu ermutigt, das Kollektiv als erstes auf etwaige Probleme hinzuweisen. Dies ist nur in einer Arbeitsatmosphäre möglich, in der die eigene Unzulänglichkeit oder das persönliche Versagen nicht unbedingt als schuldhaft angesehen werden.

An dieser Stelle seien Max Webers Argumente für Rationalität der bürokratischen Verfahren genannt, insofern sie es schaffen, sinnvoll zwischen der Rolle und der einzelnen Person zu differenzieren.

Eine der Stärken einer Bürokratie ist die Festlegung von klaren, in Richtlinien niedergeschriebenen, Bestimmungen und Verfahrensvorschriften, die Neuzugängern in einer Organisation helfen, eine neue Funktion ohne allzu viele Schwierigkeiten zu übernehmen. Die These, die wir vertreten, heisst also, dass die Linke in Bezug auf Bürokratie und auch auf die Arbeitsteilung im Grossen und Ganzen nur die Hälfte des Arguments richtig verstanden hat. Die Bürokratie weist sowohl Schwächen, an denen die Linke paradoxerweise mitbeteiligt ist, als auch Stärken auf. So ist es etwa ganz normal, dass durch den Weggang eines Mitarbeiters eine Krise bei einem Gemeinschaftsprojekt ausgelöst wird. Keine andere Person schafft es, die Arbeit erfolgreich weiterzuführen, denn alle Informationen, Kontakte und Entscheidungskriterien bleiben in den Köpfen der Vorgänger und sind nicht in aller Deutlichkeit ausformuliert, um sie auch anderen zugänglich zu machen. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass niemand unersetzbar ist, werden auch andere Menschen nachvollziehen können, was in den Köpfen ihrer Vorgänger steckt und ein System aufbauen, das es ihnen erlaubt, diesesWissen auch allgemein zur Verfügung zu stellen. Wenn man nicht auf dieser Basis beginnt und stattdessen wartet, bis man selber erkennt warum man es hätte tun sollen, wird es zu spät sein. Oder, wie jemand sagte, eine Organisation, die es nicht schafft, die Voraussetzungen für ihr Weiterbestehen zu gewährleisten, ist innerhalb einer Generation zum Scheitern verurteilt.

Freiwillige Desorganisation

In den Bereichen der Sozialfürsorge und der Gemeinde-Entwicklung sind in den Siebzigerjahren besonders viele Kollektive oder genossenschaftliche Einrichtungen im gemeinnützigen Sektor entstanden. Sie wurden u.a. durch die damalige politisch libertäre Kultur beeinflusst. Allerdings fällt auf, dass der von manchen dieser gemeinnützigen Organisationen angewandte Gemeinschaftsstil eher demjenigen von professionellen Partnerschaften oder Unternehmen entspricht als frühreren Experimenten in Arbeiterkontrolle, mit denen sie sich oft gleichzusetzen pflegen.

Der in grossen Teilen des gemeinnützigen Sektors verbreitete Selbstverwaltungsstil unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der Verfahrensweise, wie sie in den zuvor erwähnten Kollektiven gepflegt wird. Er widerspiegelt insb. den topausgebildeten und selbstvewussten Hintergrund der Beteiligten, die sich – sofern sie es vermeiden können - von niemandem sagen lassen, was sie zu tun haben. Dieser Unterschied wird in einigen Organistionen institutionalisiert. Die Mitgliedschaft zum Kollektiv könnte beispielsweise Facharbeitskräften vorbehalten sein, während sonstige Funktionen wie Schreib- und Büroarbeit hierarchisch konventionell organisiert bleiben.

Folgenschwere Meinungsverschiedenheiten können zwischen Befürwortern dieses Stils der Selbstverwaltung bei sozialer oder gemeindebasierter Arbeit und genau denjenigen, denen sie versuchen zu helfen, auftreten. Dies ist durch einen im Januar 1984 in der Harckney Gazette erschienenen Artikel zum Ausdruck gebracht worden. Er wurde von einem aufgebrachten Mitglied der örtlichen Gemeinschaft verfasst. Er bemängelte, dass das lokale Gemeindezentrum während der ganzen Weihnachtswoche geschlossen war. Hier, betonte der verbitterte Autor, sass eine Bande gut ausgebildeter Linker des Mittelstandes um ihre kooperativen Arbeitsregeln, die vom Autor als in ihrem Eigeninteresse liegend wahrgenommen wurden, nach ihrem Belieben zu organisieren. Jeder andere aus der Umgebung musste entweder arbeiten oder war während der Weihnachtszeit von Arbeitslosigkeit betroffen. Dennoch wurde das Zentrum von einer Gruppe geführt, die die Vorschriften so festlegten, wie sie ihnen selber zugutekamen, eine Masslosigkeit, die sie aus politischen Motiven heraus rechtfertigten. Während wir kein Urteil über die Fairness dieser Beschwerde fällen, verleiht ihre Form einem Konflikt zwischen den traditionellen Erwartungen der Arbeiterklasse und der Selbstverwaltung der Mittelklasse Ausdruck.

Der Konflikt tritt in weiteren Formen auf. Die Büros vieler dieser Organisationen erstrahlen im Glanz von Plakaten und Namensschildern, die eine progressive und radikale Politik verfechten. Dies macht die Politik der Veranstaltergruppe deutlich, könnte aber auch diejenigen einschüchtern, die, obwohl sie sich weit vom Profil des tollwütigen Torys entfernt befinden, diesen deutlich festgelegten Standpunkt nicht vertreten. Dies wirkt der möglichen Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit und der Erweiterung der unterstützten politischen Idee entgegen. In mancherlei Hinsicht erhöht die wachsende Zahl von bezahlten gemeinnützigen Arbeitsstellen in innerstädtischen Gebieten, die zugleich für eine Konsolidierung der zur Diskussion stehenden politischen Kultur steht, den Abstand den sie eigentlich zu vermindern gedachte. Im gemeinnützigen Sektor wären harmonische Beziehungen zwischen Managern und ihren Mitarbeitern während der Kommunalentwicklungsoffensive Anfang der siebziger Jahre möglich gewesen. Mit der Verhärtung des politischen und wirtschaftlichen Klimas der achziger Jahre gerieten sie allerdings ins Stocken und bereits jetzt ist eine Rückkehr zu einem militanteren Gewerkschaftswesen innerhalb des Sektors zu beobachten. In einigen bedrückenden Fällen zerrten frühere Gemeindearbeiter Führungsgremien (für deren Einrichtung sie selber einst kämpften) bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit ihren eigenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vor die Arbeitsgerichte. Die Mobilisierung schweren Gefechts gegen Führungskräfte kann für die Arbeitsbeziehungen verheerende Folgen mit sich bringen, insb. wenn eine Gruppe weniger politisch versierter Freiwilliger mit geringerem Bildungsstand (die nicht immer Vertreter der Region sind) in die Führungsrolle schlüpft. Die jüngsten Blokademassnahmen der Kommunalverwaltungsbeamten gegen die Bemühungen, Labour gesteuerte Verwaltungsstellen mithilfe von Initiativen auf lokaler Ebene und der Einbindung von Bezirksbüros zu dezentralisieren, könnten Beleg für ein weiteres Versagen der politischen Integrität sein. Ein Flugblatt des Labour Koordinierungsausschuss kommt zu folgendem Schluss: „Wenn Abbau und Privatisierung ganz oben auf der Agenda stehen und Du es nicht schaffst die Anforderungen der Gemeinschaft der Du dienst in einem angemessenen Masse zu erfüllen, haben sie keinen Grund Dich zu unterstützen wenn Dein Job auf dem Spiel steht.“ (Labour Co-ordinating Committee, Go Local to Survive: decentralisation in local government, p.25)

Politische Garantien

Der alternativ libertäre Sektor wird durch einen oberflächlichen Ansatz geprägt, der sich oft durch einen Mangel an Aufmerksamkeit für die spezifischen Kompetenzen, die für eine anstehende Aufgabe benötigt werden, auszeichnet. Manchmal stützt sich dies auf die Annahme, dass die „richtigen“ politischen Ansichten einer Person als Garantie für seine Fähigkeiten stehen. Das ist natürlich eine nicht besonders hilfreiche Form des Moralismus. Er hat sich hauptsächlich aus einer Verallgemeinerung von Problembereichen wie Politik und Moral ergeben, die in einigen Kontexten sicherlich als angemessene Prioritäten angesehen werden können, und lässt sich von einer Perspektive ableiten, in der eben diese Problembereiche in allen Situationen Erstrangigkeit haben. Die Notwendigkeit zwischen der Person und einer besonderen Aufgabe zu unterscheiden, wird oft umgangen. Diese Differenzierung wurde nicht selten durch die libertäre Version der Argumentation, die besagt, dass das Private politisch ist, verwischt. Die betreffende Person könnte zwar einen tadellosen politischen Standpunkt zu Rassismus, Sexismus, etc. vertreten, aber trotzdem lausig im Pakete verpacken und Berichte schreiben oder sonstigem sein. Das Umgekehrte gilt jedoch ebenfalls. Es könnte gut sein, dass eine Gruppe darauf besteht, dass eine Person nicht nur gut im Ausführen einer Tätigkeit ist, sondern sich auch zu bestimmten politischen Ansichten bekennt oder einen bestimmten Lebensstil führt. Das sollte dann aber als eine Zusatzqualifikation und nicht als Alternativvoraussetzung betrachtet werden. Die Prioritäten müssen bewusst gewählt werden und ihre möglichen Auswirkungen müssen vollkommen klar sein.

Das Private ist sicherlich politisch (wie könnte es auch anders sein?), aber das Politische geht über die Grenzen des Privaten hinaus (in die Öffentlichkeit). Noch ist das Private in der Lage auf das Politische reduziert zu werden. Eine Folge der beherrschenden libertären Perspektive ist hier, dass man niemanden für eine bestimmte Arbeit kritisieren darf, ohne dass dies als Angriff auf die Person gewertet wird. Es wird dadurch unmöglich, zwischen einer schlechten Arbeit und einer schlechten Person zu unterscheiden.

So gesehen bietet die Politik entweder eine Garantie von Fähigkeiten oder liefert Beweis für Unfähigkeit. Vielleicht ja das Gerüst des libertären Stalinismus, mit einem anderen Inhalt und unterschiedlich verordneten Ansichten, jedoch in einer ähnlichen Form, in der es nur einen Heilsweg gibt und alle anderen Methoden direkt ins Pendant der libertären Hölle führen.

The Collective Decides“ ist von Auszug aus What A Way to Run a Railroad: An Analysis of Radical Failure, 1985, 101 pp, ISBN 0-906890-80-2, herausgegeben von Comedia, 9 Poland Street, London, UK W1V 3DG.

(CX4174B)

Übersetzt von Mirjam Walker


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